Brücke der Solidarität nach Tschernobyl und Fukushima

25.03.2013
„Nadeshda“ hilft beim Aufbau eines Kinderzentrums in Japan

Seit 1993 unterstützt die Japanische Stiftung für Tschernobyl-Kinder die Arbeit des Kinderzentrums "Nadeshda". Zentrale Schwerpunkte der 20-jährigen Kooperation bilden dabei Erholungsmaßnahmen für Kinder aus den radioaktiv verstrahlten Regionen in Belarus und insbesondere für krebskranke Kinder sowie Verbesserung der materiellen Ausstattung des Zentrums für die pädagogische und medizinische Arbeit. Nach der Fukushima-Katastrophe dient "Nadeshda" nun als Vorbild, um von der atomaren Strahlung betroffenen japanischen Kindern zu helfen.

 

Bereits kurz nach der Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima Dai-ichi riefen Vertreter der Japanischen Stiftung für Tschernobyl-Kinder um den Fotoreporter Ryuichi Hirokawa eine Stiftung für Fukushima-Kinder ins Leben. Zunächst konzentrierten sie sich darauf, Dosimeter und Ganzkörpermessgeräte für die betroffenen Regionen zu besorgen, um den dort lebenden Menschen eine unabhängige Strahlungskontrolle zu ermöglichen. Als offensichtlich wurde, dass die Katastrophenfolgen langfristig das Leben der Menschen prägen werden, begannen sie im Oktober 2011 nach Möglichkeiten zu suchen, um in unbelastetem Gebiet ein Erholungsheim für Kinder aus den durch die Fukuaschima-Katastrophe betroffenen Regionen aufzubauen.

 

Vorbild für diese Idee bildeten die Erfahrungen aus der Kooperation zwischen der Japanischen Stiftung für Tschernobyl-Kinder und dem Kinderzentrum "Nadeshda". Dank "Nadeshda" sind die japanischen freiwilligen Helfer überzeugt, dass - wenn eine Umsiedlung in unbelastete Regionen nicht möglich ist - regelmäßige Erholungsmaßnahmen die einzige Möglichkeit sind, um das Immunsystem der von Strahlung betroffenen Kinder zu stärken und der Entstehung von chronischen Krankheiten vorzubeugen. Besonders wichtig ist ihnen dabei, den Kindern eine unbeschwerte Zeit mit unbeschränktem Spielen an der frischen Luft und angstfreier Bewegung in der Natur zu schenken. Denn Stressabbau ist für die Gesundheit der Kinder ebenso förderlich wie die Gewährleistung einer unbelasteten Nahrung.

 

Hohe Gesundheitsrisiken

Wie aktuell dies ist, kann man dem Bericht über die gesundheitlichen Folgen von Fukushima entnehmen, den die Organisation "Internationale Ärzte gegen den Atomkrieg" (IPPNW) im März 2013 veröffentlicht hat. Demnach weisen allein in der Präfektur Fukushima 55.592 oder 41,8% aller Kinder Schilddrüsenveränderungen auf. Bei Kindern gilt dies als Krebsvorstufe. Ab 2015 sei daher ein massiver Anstieg von Schilddrüsenkrebs bei Kindern zu erwarten. Aufgrund der externen Strahlenbelastung rechnet die IPPNW insgesamt mit bis zu 82.606 zusätzlichen Krebserkrankungen, durch die Nahrungsaufnahme können weitere 37.266 Krebserkrankungen hinzukommen. Insbesondere Fisch ist häufig hoch belastet. Damit sind die Ernährungsgewohnheiten der Japaner durch Fukushima ähnlich in Frage gestellt wie von Belarussen und Ukrainern nach Tschernobyl. Denn für letztere sind die in hohem Maße Strahlung aufnehmenden Pilze und Beeren aus dem Wald wichtige Nahrungsbestandteile. Allerdings stehen alle Krankheitsprognosen unter dem Vorbehalt, dass auch zwei Jahre nach Fukushima noch kein vollständiges Bild über die Ausmaße der Verstrahlung vorliegt.

 

Für ihr Kinderheim suchte die japanische Fukushima-Stiftung daher nach einem unbelasteten Ort. Diesen fand sie auf der Okinawa-Insel Kume-jima im Süden Japans, die nur über Fähre oder Flugzeug zu erreichen ist. Hier baute die Stiftung eine auf einem Berg gelegene ehemalige Töpferei mit vier Gebäuden in ein Kinderheim um. Der Standort wurde trotz seiner schweren Erreichbarkeit bewusst gewählt. Denn in den Bergen können sich die Kinder, die nicht nur durch die radioaktive Strahlung, sondern auch durch den Tsunami traumatisiert sind, absolut sicher fühlen. Am 5. Juli konnte die erste Kindergruppe mit ihren Begleitpersonen für zwei Wochen nach "Okinawa Kumi No Sato" kommen, was übersetzt "Zuhause" bedeutet. Der Name des Erholungsheims lehnt sich somit eindeutig an das Selbstverständnis des Kinderzentrums "Nadeshda" an, das sich als "gemeinsames Haus" für Kinder aus den Tschernobyl-Regionen und Erwachsene aus unterschiedlichen Ländern versteht.

 

Zahlreiche Parallelen

Dies ist nur eine von zahlreichen Parallelen zwischen "Nadeshda" und "Okinawa Kumi No Sato". Ähnlich wie in "Nadeshda" bestand die erste Gruppe aus 51 Personen. Insgesamt konnten zwischen Juli und Dezember 2012 insgesamt 230 Kinder und 67 Begleitpersonen, d.h. insgesamt 297 Personen in das Heim kommen. In 2013 plant die Stiftung die Aufnahmekapiztität auf 100 Personen zu erweitern. Wie in "Nadeshda" sollen die Kinder dann auch Schulunterricht erhalten, so dass die Aufenthaltsdauer auf drei Wochen verlängert werden kann.

 

Die Eröffnung eines Erholungsheims für Fukushima-Kinder ist allerdings in Japan ein noch viel außergewöhnlicher Schritt, als es dies vor fast 20 Jahren in Belarus der Fall war. Denn im Unterschied zu Belarus oder Deutschland sind mehrwöchige Kur- und Sanatoriumsaufenthalte in vollkommen unbekannt. Aus diesem Grunde lud die japanische Stiftung im Dezember 2012 den Direktor des Kinderzentrums von "Nadeshda" Wjatscheslaw Makuschinskij für 10 Tage nach Japan ein. Bei zahlreichen Veranstaltungen in mehreren japanischen Städten berichtete Wjatscheslaw Makuschinskij über die Arbeit von "Nadeshda", um der japanischen Öffentlichkeit zu erklären, wie wichtig regelmäßige Kuren in unbelasteten Gebieten für die Gesundheit der betroffenen Kinder sind.

 

"Nadeshda" als Vorbild

Selbstverständlich besuchte der Nadeshda-Direktor auch das neue japanische Kinderheim, um die dortigen Mitarbeiter zu beraten. Besonders interessiert sind die Initiatioren von "Okinawa Kumi No Sato" derzeit an Informationen, wie die Verpflegung der Kinder gestaltet werden muss, um eine maximale Stärkung des Immunsystems zu erreichen und die Ausfuhr von Radionukliden aus dem Organismus zu beschleunigen. Ebenso sind sie an medizinischen Behandlungsmethoden, wie Aromatherapie oder Heilgymnastik interessiert. Mit der pädagogischen Arbeit von "Nadeshda" sind sie hingegen bereits bestens vertraut, da die Japanische Stiftung für Tschernobyl-Kinder insbesondere die künstlerischen Werkstätten in "Nadeshda" regelmäßig unterstützt.

 

Da es in Japan kein etabliertes Kur- und Sanatoriumswesen gibt, ist auch eine staatliche Finanzierung von Erholungsaufenthalten nicht vorgesehen. Die Stiftung für Fukushima-Kinder finanziert daher das Kinderheim bisher vollständig aus privaten Spenden. Die Arbeit wird überwiegend von ehrenamtlich arbeitenden Freiwilligen geleistet, es gibt lediglich eine Handvoll Teilzeitbeschäftigte. Aus diesem Grunde ist auch die Zahl der mit den Kindern ins Heim kommenden Begleitpersonen recht hoch. In der Regel handelt es sich dabei um die Mütter der Kinder. Die Auswahl der Kinder und Begleitpersonen erfolgt durch Vertreter der Stiftung in Iwaki, einer 50 km vom Atomkraftwerk Fukushima Dai-ichi entfernt gelegenen Stadt, in der etwa 30.000 Umsiedler aus den zur Sperrzone erklärten Gebieten leben.

 

Ungebrochene Sorge um Tschernobyl-Kinder

Über die Sorge um ihre eigenen Kindern hat die japanische Stiftung jedoch die Tschernobyl-Kinder nicht vergessen. Ihre Unterstützung für das Zentrum "Nadeshda" hat sich vielmehr sogar verstärkt. In 2013 werden mit finanzieller Unterstützung der Japanischen Stiftung für Tschernobyl-Kinder ein Erholungsprojekt für Familien mit Kindern, bei denen ein oder beide Elternteile als Kinder an Schilddrüsenkrebs erkrankten, sowie ein Erholungsprojekt für krebskranke Kinder durchgeführt. Zudem unterstützt die japanische Stiftung das Zentrum weiterhin in seiner pädagogischen und medizinischen Arbeit.

 

Die Brücke der wechselseitigen Solidarität, die zwischen den Kinderheimen "Nadeshda" in Belarus und "Okinawa Kumi No Sato" in Japan entstanden ist, setzt ein hoffnungsvolles Zeichen, dass gemeinsames Engagement dazu beiträgt, unseren Kindern weltweit eine nachhaltige Zukunft zu sichern und die Alternativen zur risikoreichen Atomenergie zu stärken. Wir freuen uns sehr, dass das Zentrum "Nadeshda"mit seinen Erfahrungen auch einen Beitrag zur Stärkung der Gesundheit von Fukushima-Kindern leisten kann. Und wir wünschen der japanischen Stiftung viel Erfolg bei der Weiterentwicklung ihres Projekts und werden dies selbst im Rahmen unserer Möglichkeiten gerne unterstützen, um die Brücke der Solidarität zwischen Tschernobyl- und Fukushima-Betroffenen weiter auszubauen. Denn in beiden Ländern werden sich die Katastrophenfolgen noch lange bemerkbar machen.

 

Astrid Sahm

Für weitere Informationen über das japanische Kinderheim auf Englisch siehe die Homepage kuminosato.net, über die Arbeit der Stiftung für Tschernobyl-Kinder www.smn.co.jp/cherno/index-e.html Der IPPNW-Bericht über die gesundheitlichen Folgen von Fukushima findet sich auf Deutsch unter www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/Fukushima/Gesundheitliche_Folgen_Fukushima_final.pdf