„Nadeshda“ – 20 Jahre Hoffnung für Kinder

26.03.2014
Über 62.000 Kinder haben sich in den letzten 20 Jahren im Zentrum „Nadeshda“ erholen können. Welche Schicksale stehen hinter diesen Zahlen? Was wurde für die Kinder – von denen inzwischen viele junge Erwachsene sind, einen Beruf erlernt und Familien gegründet haben – zum wichtigsten Erlebnis in „Nadeshda“? Und welche Bedeutung hatte der Aufenthalt im Zentrum für ihr weiteres Leben? Anlässlich des 20. Geburtstags von „Nadeshda“ im September 2014 erstellen wir insgesamt 20 Kurzporträts, in denen Kinder, Eltern und Begleitpädagogen berichten, wie sie im Zentrum nicht nur Hilfe für gesundheitliche Probleme, sondern vor allem neue Zukunftsperspektiven gefunden haben. Zu ihnen gehören Ludmila Ermatschenok aus Glubokoe (Gebiet Witebsk), deren 2002 geborener Sohn Wassilij mit drei Jahren an Leukämie erkrankte, sowie Iwan Tschibisow, der in der vom Tschernobyl-Fallout betroffenen Ortschaft Techtin (Gebiet Mogiljow) lebt.

Wassilij Ermatschenok

Wassilij Ermatschenok bei Holzarbeiten

„Meinem Jungen sind in ‚Nadeshda‘ Flügel gewachsen!“

Wassilij Ermatschenok erkrankte 2005 an Leukämie. Von seinen vier anderen Geschwistern leidet auch der zwei Jahre jüngere Bruder an Krebs. Beide können seit Abschluss der Chemotherapie wegen ihrer geschwächten Immunität keine normale Schule besuchen, sondern werden zu Hause unterrichtet. Dadurch ist ihr Kontakt zu Gleichaltrigen sehr eingeschränkt. Im Winter 2013 erhielt Wassilij dank der Zusammenarbeit zwischen der belarussischen Elternvereinigung „Kinder in Not“ und dem Zentrum „Nadeshda“ erstmals die Möglichkeit zu einem Aufenthalt in einer Rehabilitations- und Erholungseinrichtung. Seine Mutter, Ludmila Ermatschenok, berichtet, wie verwandelt ihr Sohn nach 24 Tagen aus „Nadeshda“ zurückkehrte:

„Wir haben uns sehr gefreut, als wir aus der Organisation ‚Kinder in Not‘ das Angebot erhielten, dass Wasja zur Kur ins Rehabilitations- und Erholungszentrum ‚Nadeshda‘ fahren könne. Noch größer war unsere Freude über die Wirkung dieses Aufenthalts. Wasja fand dort nicht nur Freunde, er spielte sogar in einem kurzen Schaustück mit und trat auf der Bühne auf. Für ihn war das eine große Leistung. Es gab in ‚Nadeshda‘ auch Sportveranstaltungen, die so gestaltet waren, dass sie Kinder, die schwierige Erkrankungen überstanden hatten, physisch nicht überfordern. Deshalb konnte Wasja sogar an Sportwettkämpfen teilnehmen, was ihm große Freude bereitete. Am meisten angetan war er jedoch von der handwerklichen und künstlerischen Zirkelarbeit! Er hat mir, seinem Vater und seinen Geschwistern wunderbare selbstgemachte Geschenke mitgebracht.

Aus ‚Nadeshda‘ kam unser Junge wie beflügelt zurück. Er wollte laufen, springen, werkeln. Besonders angetan hat es ihm die Arbeit mit Holz. Dies ist zu seinem festen Hobby geworden. Er stellt auch jetzt regelmäßig Gegenstände für die ganze Familie her – und es gelingt ihm sehr gut! Ich danke allen, die meinem Jungen Flügel geschenkt haben!“

 

„In ‚Nadeshda‘ habe ich den Wert des Lebens verstanden!“

Iwan Tschibisow verdankt seinen Aufenthalt im Zentrum der US-amerikanischen Initiative „Project Restoration International“ in Kansas City, die 1998 von Laurann Schlapper gegründet wurde und Teil der „Children of Chernobyl US Alliance“ ist. Die Initiative lud zunächst jährlich in den Sommerferien Kindergruppen aus Belarus in die USA ein. Seit 2010 ermöglicht sie Kindern aus Techtin und anderen belarussischen Orten einen Erholungsaufenthalt in „Nadeshda“. Dabei beteiligt sie sich aktiv mit Freiwilligen an der Betreuung der Kinder im Zentrum. Besonders wichtig ist es für Laurann Schlapper, dass die Kinder nicht nur Hilfe empfangen, sondern selber anderen etwas Gutes tun. So stellen die Kinder beispielsweise Decken für die Kinderabteilung des Krankenhauses in Wilejka her oder übernehmen Patenschaften für behinderte Kinder, die sich zeitgleich in „Nadeshda“ aufhalten. Für Iwan wurde diese Erfahrung zu einem Schlüsselerlebnis:

„Ich bin erstmals 2010 ins Kinderzentrum ‚Nadeshda‘ gekommen. Da war ich 10 Jahre alt. Mich hat damals erstaunt, wie freundlich mich die Menschen begrüßten, wie viele interessante Spielanlagen es auf dem Gelände gab und wie ordentlich alles war. Während des Aufenthalts erhielt ich medizinische Anwendungen, wie Luftsprudelbäder, Phytotherapie und Massagen. Unter den Freizeitaktivitäten hat mir der Zirkel für Holzarbeit am besten gefallen.

Bei meinem ersten Aufenthalt schloss unsere Gruppe Freundschaft mit einer Gruppe behinderter Kinder. Wir spielten zusammen, halfen ihnen, ein Sportfest zu veranstalten. Wir schauten ihnen zu, beobachteten, wie sie sich freuten – und verstanden, wie unbedeutend unsere Probleme im Vergleich zu ihren Problemen sind. In diesem Moment hat sich mein Blick aufs Leben vollständig verändert. Ich verstand, wie unschätzbar wertvoll das menschliche Leben ist.

Dank ‚Project Restoration International‘ habe ich erfahren, dass man Gott für jeden erlebten Tag danken muss, für den Sonnenaufgang, für das Essen. In ‚Nadeshda‘ habe ich begriffen, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen das Wichtigste im Leben sind. Ich habe Freundschaft mit Gleichaltrigen aus verschiedenen Städten geschlossen, wie Minsk, Mosyr und Mogiljow, und bin bis heute mit ihnen im Kontakt.

In ‚Nadeshda‘ hat es mir sehr gut gefallen – und ich träumte davon, wieder hierher zu kommen. Die amerikanische Initiative hat mir diesen Traum erfüllt, und ich konnte mit meinen Freunden mehrere Sommer in ‚Nadeshda‘ verbringen.

Jetzt bin ich 14 Jahre alt, gehe in die achte Klasse und interessiere mich für Mathematik. Ich habe schon mehrere Mathematik-Wettbewerbe im Bezirk gewonnen. Später möchte ich Programmierer werden.“