„Ich bin zwei Monate vor der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Februar 1986 auf die Welt gekommen. Die Tschernobyl-Tragödie hat im Schicksal meiner Familie eine tiefe Spur hinterlassen. Mit meinen Eltern, jüngeren Schwestern und meinem Bruder lebte ich im Kreis Kormja im Gebiet Gomel, ein Territorium, das seit April 1986 stark radioaktiv verseucht ist. Dies hat wahrscheinlich auch die Krebserkrankung meiner Mutter befördert, an der sie gestorben ist. Zu diesem Zeitpunkt war ich acht Jahre alt – und in diesem Alter musste ich mit einem Schlag erwachsen und selbstständig werden. Die nächsten Angehörigen lebten weit weg, in anderen Gegenden der ehemaligen Sowjetunion. Daher konnten sie nur mit Briefen und Telefonanrufen helfen. Statt sorglos mit meinen Altersgenossen zu spielen, musste ich die Rolle der Hausfrau übernehmen, zur Erzieherin für die jüngeren Schwestern und den Bruder sowie zur Stütze für meinen Vater werden. Ich habe das Kinderzentrum „Nadeshda“ im Juli 1997 während einer Erholungsfahrt unserer Schule kennengelernt. Der erste Eindruck von dieser Einrichtung ist unvergesslich: das Zentrum im malerischen Wald, die modernen Häuser, die gemütlichen Schlaf- und Spielzimmer – alles war wunderschön. Wir wurden im Schlafhaus mit dem Märchennamen „Teremok“ untergebracht. Das heißt auf Deutsch „Märchenhaus“. Und das Märchen fing an... Ich erinnere mich lebhaft an die Spaziergänge durch den Sommerwald, das Heidelbeerpflücken. Zu Hause war es uns verboten, in den Wald zu gehen, erst recht Pilze und Beeren zu sammeln. Wegen der Strahlung. Damals verstand ich noch nicht, dass sie die leckeren Beeren vergiftet, denn sie ist unsichtbar. Aber in „Nadeshda“ konnten wir diese wunderbaren Gaben des Waldes in vollen Zügen genießen. Das hat uns sehr gefreut. Ich erinnere mich auch gerne an die Spaziergänge zum Wilejka-Stausee, an die tollen Veranstaltungen, an die Arbeitsgemeinschaften und an die Disko – es gab keine Langeweile im Zentrum. Wir haben die Tage bis zur Abreise nicht gezählt. Es war sehr lustig. Unsere Gruppe hatte vier freiwillige Betreuer: Alexander und Tatjana aus Belarus, Juki aus Japan und Eva aus Österreich. Juki hat uns die Origami-Kunst beigebracht, Eva sprach ausgezeichnet russisch und war immer umgeben von Kindern. Und den Abschiedsabend von «Nadeshda» habe ich für immer in Erinnerung: es brannte ein Lagerfeuer, wir haben Lieder gesungen und es war sehr traurig für mich, diese wunderbare Einrichtung zu verlassen und mich von meinen Lieblingserziehern zu trennen. Besonderen Dank möchte ich «Nadeshda» aussprechen für die wundervolle Bekanntschaft mit der Erzieherin unserer Gruppe, Lydija Nikolajewna (Sluzkaja), die für mich schon seit 20 Jahren wie eine Verwandte ist! Das neue Schuljahr begann ich in der Klasse, mit der ich in „Nadeshda“ zur Erholung war … In den Pausen haben wir uns an die Fahrt erinnert, Briefe an Freunde geschrieben. Doch mit einem Schlag änderte sich mein Leben radikal! Ich musste zusammen mit meinen jüngeren Geschwistern in ein Internat. Anfangs fiel es mir sehr schwer, mich an das neue Leben im Internat zu gewöhnen und mit elf Jahren die Rolle der „Mutter“ für meine Geschwister auszufüllen. Und ich erinnerte mich an „Nadeshda“, schrieb Briefe an Lydija Nikolajewna und träumte davon, wieder ins Zentrum zu kommen, wo ich mich als kleines Mädchen umgeben von fürsorglichen Erwachsenen fühlen konnte. Ich hatte das Glück zwei Jahre später, im Jahr 1999, wieder nach «Nadeshda» zu kommen. Es war das Jubiläumsjahr, „Nadeshda“ war 5 Jahre alt geworden. In dieser kurzen Zeit hatte sich vieles in „Nadeshda“ verändert - es waren neue Spielplätze gebaut worden, ein gemütliches Café und im Hof waren viele grüne Pflanzen. Aber die Pädagogen waren immer noch genauso gut, feinfühlig und nahmen großen Anteil. Ich war danach in vielen Kindereinrichtungen, an deren Namen ich mich heute nicht mehr erinnern kann, aber die Zeit in «Nadeshda» werde ich niemals vergessen. Die saubere Luft und die schöne Natur, die leckeren Brötchen und Bretzeln, gebacken für uns in «Nadeshda»! Und das Wichtigste - die wunderbaren Pädagogen und die Mitarbeiter des Zentrums. Danke für die Aufmerksamkeit, Liebe und die Fürsorge, die sie uns geschenkt haben. Wir wollen auch den Gründern des Kinderzentrums «Nadeshda» und den ausländischen Partnern dafür danken, dass ihnen die Tschernobyl-Tragödie nicht gleichgültig war. Die Kur in «Nadeshda» stärkt die Gesundheit der Kinder, ändert die Einstellung zum Leben und zur Gesundheit. So hat mein Aufenthalt in „Nadeshda» meine Berufswahl beeinflusst. Ich habe die pädagogische Universität absolviert und in der Zukunft will ich ebenfalls eine so professionelle und aufmerksame Pädagogin werden, wie es die Mitarbeiter von «Nadeshda» sind. In meinem Leben ist alles gut geworden - ich habe eine Familie, ein Kind und einen interessanten Beruf.“